Die Lage formte den besonderen Charakter der Inselbewohner
Ibiza liegt im Golf von Valencia auf 39 Grad nördlicher Breite und 1 Grad östlicher Länge: 90 km trennen es von der balearischen Hauptinsel Mallorca, 90 km vom spanischen Festlandhafen Denia und 250 km von Algerien. Die Insel Ibiza – oder, wie sie auf katalanisch heisst, Eivissa – übte stets eine besondere Faszination auf die Menschheit aus: einerseits schützte das sie umgebende Meer die einheimischen (Eigen-) Arten vor allzu grossem Druck äusserer Einflüsse, andererseits wurde sie dank ihrer günstigen Lage seit alters her von Handeltreibenden und Eroberern der verschiedensten Kulturen besetzt – Phönizier, Griechen, Karthager, Römer, Byzantiner, Mauren -, was ihr eine gewisse Weltoffenheit verlieh. Diese Mischung aus Starrsinn, wenn es um die eigenen Angelegenheiten geht, und Toleranz, wenn es sich um die anderer Leute handelt, charakterisiert die meisten Ibizenker. So präsentiert sich auch das 572 qkm kleine Eiland, auf dem heute knapp 120.000 Menschen leben, an der Küste mit lebensfrohen bunten Häfen, in denen es im Sommer von Besuchern aus aller Herren Länder wimmelt, und verträumten weissen Dörfern im Landesinnern, in denen die Zeit scheinbar stillgestanden hat.
Kontrastreiche Küsten
Voller Kontraste ist auch die 210 km lange Küste. Von den über 50 Sandstränden liegen die meisten im Süden. Manche ziehen sich kilometerlang mit feinem weissen Sand am türkisfarbenen Meer entlang und fallen sanft ins Wasser ab. Hier treffen sich Familien mit planschenden Kleinkindern und sonnenhungrige Nordlichter, die sich den ganzen Tag von den zahlreichen Strandbuden mit Speis und Trank und der neuesten Musik versorgen lassen. Dagegen erscheinen die tiefblauen Buchten an der wildzerklüfteten Steilküste im Norden wie romantische Kleinode. Wer im Hochsommer die Stille sucht, darf den etwas mühsamen Abstieg nicht scheuen; er wird reich belohnt. Aber auch im Norden gibt es zahlreiche kleinere Strände, die bequem mit dem Auto zu erreichen sind. Taucher erleben das kristallklare Wasser rund um die Insel als besonderes Ferienerlebnis. Und wer weiter aufs Meer hinaus will, dem steht ein reichhaltiges Wassersportangebot zur Verfügung. Die Ibizenker waren traditionell Bauern, von denen viele auch ein Fischerboot besassen. Davon zeugen noch die langen Reihen alter Bootshütten an den Stränden, die heute unter Denkmalschutz stehen. Manche sind in den nackten Fels hineingeschlagen; allen gemeinsam ist das grosse hölzerne Tor und die Bohlenrampe ins Wasser. Das Land an der Küste galt den Bauern als minderwertig, weil Luft und Boden so salzhaltig waren, dass kaum etwas angebaut werden konnte. Daher wurde das Küstenland meist den jüngeren Töchtern vererbt; die freuten sich, als der Tourismus die Grundstückspreise mit Meerblick in ungeahnte Höhen schnellen liess.
Stille, duftende Pinienwälder
Ibiza und seine kleine Schwesterinsel Formentera bilden die Pityusen. Der Name stammt von den Griechen (pityussai) und bedeutet Pinieninseln. Erst im Jahre 1276 wurden die Pityusen dem damaligen Königreich der Balearen angeschlossen; bis zu diesem Zeitpunkt bezeichnete man nur Mallorca und Menorca als Baleareninseln. Die Pityusen verloren ihre Selbstverwaltung und behielten die Pinien. Bis heute. Zwei sanfte Hügelketten im Westen und im Norden mit sattgrünen Pinienwäldern machen ihrem Namen immer noch Ehre. Damit das zumindest auf den Hügelspitzen so bleibt, darf oberhalb von 200 m nicht mehr gebaut werden. Sehr viel höher sind die meisten Hügel auch nicht. Der höchste ist der Atalaya von Sant Josep im Südwesten mit 474 m. Er wird von einem Fernsehturm gekrönt. Die anderen Fernsehtürme versammeln sich auf dem Atalaya von Sant Llorenç im Zentrum der Insel. Über den ganzen Norden zieht sich die waldreiche hügelige Landschaft Es Amunts. Beeindruckend sind die mächtigen Schirmpinien. Die Phönizier brachten die rote Sabina auf die Insel, die zur Wacholderfamilie gehört. Das harte Holz eignet sich vorzüglich zum Haus- und Schiffsbau. Zu dem Duft der Pinien gesellen sich die wilden Rosmarin- und Thymiansträucher, in den Lichtungen setzen Ginster und Skabiosen leuchtend gelbe und violette Farbflecke. Kaninchen und Rebhühner sieht man nur in den Wintermonaten, doch viele verschiedene Vogelarten zwitschern das ganze Jahr über in den Bäumen. Ein Waldspaziergang ist jederzeit ein Erlebnis. Doch Vorsicht mit den Picknicks. Feuer anzünden ist wegen der Brandgefahr von Mai bis Oktober streng verboten ! Manchmal genügt schon eine Glasscherbe und die gleissende Sommersonne setzt das dürre Unterholz in Brand.
Die Bauern prägten die Landschaft
In den Tälern breitet sich das Ackerland aus. Vorherrschend sind die Johannisbrotbäume mit ihren schotenartigen Früchten, die sich im Spätsommer dunkelbraun färben. Sie werden als Viehfutter benutzt oder zum Festland verschifft, wo sie in der pharmazeutischen Industrie Anwendung finden. Die Mandelbäume entfalten ihre weisse Blütenpracht schon Ende Januar; das beeindruckende Naturschauspiel ist der „Schnee“ Ibizas. Die weit ausladenden Feigenbäume sind im Winter kahl; im Sommer bietet das dichte Blätterdach den Schafherden willkommenen Schatten. Silbrig grün rascheln die kleinen Blätter der Olivenbäume in der Luft. Die knorrigen, von Wind und Wetter gedrehten jahrhundertealten Stämme inspirierten so manchen Poeten. Zitronen- und Apfelsinenbäume, Aprikosen, Pflaumen und Weinreben komplettieren die traditionelle Landwirtschaft. Weizen wird schon im Mai geerntet. Der satte rote Lehmboden ist fruchtbar, so lange er feucht gehalten werden kann. Im nahezu regenlosen Sommer liegen die meisten Äcker brach. Nur wenige Bauern widmen sich dem Gemüseanbau. Der Bedarf der Inselbewohner wird mit Transporten vom Festland gedeckt.
Malerische weisse Dörfer
Die meisten Dörfer auf dem Lande sind klein. Sie haben einen harten Kern, der aus Kirche, Kneipe, Lebensmittelladen, Schule und wenig mehr besteht. Erst im letzten Jahrzehnt sind einige neue Wohnviertel hinzugekommen, seit vor allem die neu Zugereisten den Reiz des Inlandes einer Insel entdeckten, auf der Entfernungen keine Rolle spielen: Vom südlichsten bis zum nördlichsten Punkt sind es 48 km, von Ost nach West knapp 24 km. Die traditionellen Bauernhäuser liegen verstreut in der Landschaft. Sie sind zu recht bis weit über die Landesgrenzen hinaus berühmt. Die in jedem Frühjahr frisch gekälkten kubischen Bauten, von den Bauern über Generationen hinweg eigenhändig aus Natursteinen errichtet und je nach Familienzuwachs erweitert, gaben Ibiza den Beinamen „die weisse Insel“. Bauhausarchitekten wie Walter Gropius oder Le Corbusier waren von Ibizas unregelmässiger, doch harmonischer „Architektur ohne Architekten“ fasziniert. Bei einer Auto- oder Fahrradtour im Inselnorden kann man das unschwer nachempfinden. Farbenprächtig stehen rote oder violette Bougainvilleen vor den schneeweissen Wänden, dicke Kakteenhecken sorgen für sattes Grün, manchmal gesellt sich noch eine Palme dazu, über allem der azurblaue Himmel – ein Bilderbuchbild wie aus dem verlorenen Paradies. Dabei hatte alles seine praktischen Gründe: die Flachdächer fangen das Regenwasser auf und leiten es in die Zisterne, der Kalk hält das Ungeziefer ab, die dicken Mauern schützen vor der Sommerhitze und halten im Winter die Wärme fest. Im gleichen Stil sind auch die Kirchen errichtet. Hier waren die dicken Wände vor allem zur Verteidigung nötig; manchmal stand sogar eine Kanone auf dem Dach. Zum Verständnis ist ein kurzer Blick in die Geschichte nötig. Nachdem die christlichen Truppen im 13. Jahrhundert die Insel von den Mauren zurückerobert hatten, überliessen sie die Bevölkerung weitgehendst sich selbst. Arabische und türkische Piraten überfielen ständig das schutzlose Eiland, die Einwohner verarmten. Schliesslich wurden Wehrtürme gebaut, um rechtzeitig vor den Angriffen warnen zu können, und der Klerus liess Wehrkirchen an strategisch günstigen Stellen errichten, in die sich die Menschen flüchten konnten. Jede Kirche wurde einem Heiligen gewidmet. So entstanden die Dörfer.
Die Lebenslust der Ibizenker
Das Verhältnis der Einheimischen zur Kirche war nicht immer ungetrübt. Oft beschwerten sich die Priester bei ihren Vorgesetzten über die pralle Lebenslust der Ibizenker, die sich nur zu gern bei Musik und Tanz vergnügten. Die karthagischen Götter Tanit und Bes wohnten seit uralten Zeiten auf der Insel. Bes, von dem Ibiza seinen Namen hat (das phönizische Ibosim heisst Insel des Bes) erscheint als krummbeiniger Gnom, dem Wein, Weib und Gesang genauso lieb waren wie seinem griechischen Pendant Bacchus. Auch der Göttin Tanit wurde die Fruchtbarkeit zugeordnet. In ihren Tempeln dienten die Priesterinnen der sakralen Prostitution: Fremde durften sich in den Nebenräumen gegen ein Entgeld zu den ätherischen Mädchen aufs Lager legen. Auf Ibiza stiegen Tanit und Bes, die im heimatlichen Karthago eher unbedeutend waren, zu Hauptgöttern auf. Auch die Römer, Byzantiner und Mauren, die nacheinander Ibiza eroberten, priesen das leichte Leben in der lauen Luft. Schon in der Antike wählten viele die Insel als den Ort aus, an dem sie ihren Lebensabend verbringen wollten. Oberflächliche Übersetzungen der Historiker brachten ihr den unschönen Ruf ein „nach Ibiza kommt man, um zu sterben“. Richtiger muss es heissen: „nach Ibiza kommt man, um hier zu bleiben, bis man stirbt.“ Bei dieser Vorgeschichte wundert es nicht, dass die Hippies der 60er Jahre die Insel zu einem ihrer Hauptstützpunkte erkoren. Sie mieteten sich in den billigen, oft ruinösen Bauernhäusern ein und verdienten ihren Unterhalt mit dem Verkauf von selbstgemachtem oder aus dem fernen Asien mitgebrachten Kunsthandwerk. So entstanden die Hippymärkte, die heute noch, manchmal leider stark kommerzialisiert, zu den Hauptattraktionen für die Touristen zählen. Denn das ist die vorerst letzte Welle von Fremden, die die Insel überschwemmt. Sie begann eher zögerlich, als 1934 das erste Hotel gebaut wurde. Auch 1958, als der Flughafen eröffnete, trafen die Touristen noch tröpfchenweise ein. Der grosse Boom begann in den 80er Jahren. Heute sind es rund 1.500.000, die die Insel in jedem Jahr besuchen. Das Angebot reicht von einem geruhsamen Urlaub auf dem Bauernhof über einfache Pensionen bis zu 5-Sterne-Hotels und Non-Stop-Weekends in den Diskotheken, wo die weltbesten Diskjockeys im Sommer die neuesten Sounds ausprobieren. Und wie in den alten Zeiten ist der Mythos von Ibiza ungebrochen: die kleine Insel bietet eine ungeahnte Vielfalt, in der jeder finden kann, was er sucht, von heissen durchtanzten Nächten bis zur stillen Meditation in idyllischer Natur.